Wird der Geschäftsführer ein Arbeitnehmer?

Im deutschen Recht darf es bislang als einigermaßen gesichert gelten, dass der Geschäftsführer einer GmbH als deren Organ und gesetzlicher Vertreter kein Arbeitnehmer ist. Zwar „verirren“ sich immer noch Kündigungsschutzklagen von Geschäftsführern zu den Arbeitsgerichten; wenn aber nicht eine besondere Konstellation vorliegt (der Geschäftsführer ist abberufen, er war zuvor Arbeitnehmer der Gesellschaft), hat die Sache keine Aussicht auf Erfolgt. Dies ist stringent: Wie sollte derjenige, der den Arbeitgeber – also die GmbH – gesetzlich vertritt (§ 35 Abs. 1 GmbHG), demnach als natürliche Person für die juristische Person die Arbeitgeberrolle „vollzieht“ zugleich Arbeitnehmer sein? So ist z. B. auch in § 5 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG geregelt, dass die Organmitglieder einer juristischen Person nicht Arbeitnehmer im Sinne des BetrVG sind. Entsprechend hat auch der Betriebsrat kein Mandat, die Interessen der Geschäftsführer zu vertreten.


Die Weisungsabhängigkeit, die charakteristisch für den Arbeitnehmer(begriff) ist, besteht zwar auch beim GmbH-Geschäftsführer, weil er den Weisungen der Gesellschafter unterliegt. Diese gesellschaftsrechtlich verankerte Weisungsgebundenheit ist jedoch etwas ganz anderes als die arbeitsrechtliche: Der GmbH-Geschäftsführer ist an die Weisungen der Gesellschafter gebunden, weil sie das Kapital geben, mit dem die Gesellschaft überhaupt arbeiten kann (bei der Aktiengesellschaft sieht die Einflussnahme durch die Hauptversammlung – auch wenn sie als „oberstes Organ“ der Gesellschaft bezeichnet wird – allerdings sehr viel schwächer aus, was mit der bewusst gewählten anonymeren Struktur der AG zusammenhängt). Die Weisungsabhängigkeit des Arbeitnehmers geht indes drauf zurück, dass sich ein Betrieb in seinem Ganzen nur organisieren lässt, wenn der Arbeitgeber oder von ihm ausgewählte Personen die Arbeitsbeiträge der einzelnen Mitarbeiter aufeinander abstimmen.


Nun „rüttelt“ der EuGH am deutschen Rechtsstatus des GmbH-Geschäftsführers, der nicht dem Arbeitsvertrags-, sondern Dienstvertragsrecht unterfällt: In der Entscheidung „Balkaya“ (Urteil vom 09.07.2015 – C – 229/14) kommt der Gerichtshof zum dem Schluss, dass Fremdgeschäftsführer (also solche, die keine Gesellschaftsanteile halten) – und wohl auch Minderheitsgesellschafter, die Geschäftsführer sind – Arbeitnehmer  im Sinne des Unionsrecht sind. (Es gibt auch andere europäische Rechtsprechung, die sich mit dem rechtlichen Status des Geschäftsführers beschäftigt, die hier auszubreiten allerdings verfehlt wäre, vgl. allerdings unten.)


Hintergrund des EuGH-Urteils ist ein aus Deutschland stammender Vorlagefall, mit dem das vorlegende deutsche Gericht wissen wollte, ob es einen Fremdgeschäftsführer zum Kreis der Arbeitnehmer zählen muss, wenn es um die Berechnung der Schwellenwerte des § 17 KSchG geht.


Nach § 17 Abs. 1 KSchG sind Arbeitgeber im Fall der Entlassung von Arbeitnehmern ab bestimmten Schwellenwerten, die sich nach der Zahl der Arbeitnehmer im Betrieb und der Zahl zu entlassen beabsichtigten Arbeitnehmer richten, verpflichtet diese sog. Massenentlassung bei der Agentur für Arbeit anzuzeigen. Wenn dies unterbleibt, ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtsunwirksam, vgl. § 18 Abs. 1 KSchG.
§ 17 Abs. 5 Nr. 1 KSchG nimmt Organmitglieder einer juristischen Person vom Anwendungsbereich der Vorschrift aus.


Der EuGH kommt nunmehr – in Auslegung und Anwendung der Richtlinie 98/59/EG und in dem nicht neuen Bestreben, den Arbeitnehmerbegriff innerhalb der Union einheitlich zu bestimmen – zu der Erkenntnis, dass jedenfalls der Fremdgeschäftsführer, nach wohl überwiegender Auslegung auch der Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer als Arbeitnehmer im Sinne des Unionsrechts anzusehen und im Rahmen des § 17 KSchG grundsätzlich zu berücksichtigen ist.


In einer vorangegangenen Entscheidung (EuGH, Urteil vom 11.11.2010 – C – 232/09 – „Danosa“) vertrat der Gerichtshof die Auffassung, dass Mitglieder der Unternehmensleitung, die entgeltlich Leistungen für die Gesellschaft erbringen, von der sie bestellt und in die sie eingegliedert sind, die ihre Tätigkeit nach Weisung oder unter Aufsicht eines anderen Gesellschaftsorgans ausüben und jederzeit von ihrem Amt abberufen werden können, im Anwendungsbereich des Unionsrechts Arbeitnehmer sind.


Klar ist nun, dass der Fremdgeschäftsführer bei den Schwellenwerten des § 17 KSchG „mitzählt“. Was bedeutet das aber im Detail?


Nach § 17 Abs. 2 KSchG hat der Arbeitgeber vor einer Massenentlassung den Betriebsrat zu unterrichten – gilt das für den Geschäftsführer, dessen Interessen gar nicht vom Betriebsrat vertreten werden? Wie ist es, wenn der einzige Geschäftsführer einer GmbH es unterlässt anzuzeigen, dass er selbst auch entlassen werden soll – hat er dann das rechtliche Schicksal seiner Entlassung in der Hand?


Soweit hier eine differenzierte Rechtsprechung aussteht, empfehlen wir Vorsicht.
Wir beraten Sie selbstverständlich gerne rund um die Thematik.