Die – auch hier schon mehrfach angesprochene – Massenentlassung und die dem Arbeitgeber in diesem Zusammenhang in § 17 KSchG auferlegten Verpflichtungen bereiten dem – auch sich korrekt verhalten
wollenden und sorgfältigen – Arbeitgeber häufig Schwierigkeiten. Die europäischen Einflüsse auf § 17 KSchG, die teils dort ihren Niederschlag gefunden haben, teils noch berücksichtigt werden
müssen, vereinfachen das Verfahren nicht. Eine neue Entscheidung des BAG (Urteil vom 20.01.2016 – 6 AZR 601/14) zeigt einmal mehr, dass die in § 17 Abs. 1, 3 KSchG geregelte Anzeigepflicht
gegenüber der Agentur für Arbeit kein förmelnder Selbstzweck, sondern ein zwingend ausgestaltetes Verfahren ist, das den Massenentlassungsschutz gewährleisten soll.
Das BAG hatte in der genannten Entscheidung außerdem Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass die Pflicht zur Konsultation des Betriebsrats nach § 17 Abs. 2 KSchG und die Anzeigepflicht nach § 17
Abs. 1, 3 KSchG zwei separat durchzuführende Verfahren sind, die den Massenentlassungsschutz auf unterschiedliche Weise sicherstellen sollen.
Nach § 17 Abs. 1, 3 KSchG ist der Arbeitgeber verpflichtet, der Agentur für Arbeit Entlassungen anzuzeigen, wenn bestimmte Schwellenwerte – einmal hinsichtlich der im Betrieb beschäftigten
Arbeitnehmer und einmal hinsichtlich der zu entlassen beabsichtigten Arbeitnehmer – erreicht werden. § 17 Abs. 1 KSchG bestimmt als relevanten Zeitraum 30 Kalendertage. Nach
§ 17 Abs. 2 KSchG hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat die dort genannten Auskünfte zu erteilen. Arbeitgeber und Betriebsrat haben sich insbesondere darüber zu beraten, ob
Entlassungen vermieden, eingeschränkt oder ihre Folgen gemildert werden können, § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG. Nach § 17 Abs. 3 KSchG – der sich wiederum auf die Anzeigepflicht bezieht – hat der
Arbeitgeber der Agentur für Arbeit eine Abschrift seiner Mitteilung an den Betriebsrat zuzuleiten.
Im Entscheidungsfall des BAG kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer, nachdem er der Agentur für Arbeit die beabsichtigte Massenentlassung angezeigt hatte. Weil er die
Kündigungsfrist im Kündigungsschreiben falsch angegeben hatte, kündigte der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer erneut. Im Zuge dessen verständigten sich die Parteien darauf, dass die erste Kündigung
„zurückgenommen“ wird und gegenstandslos ist. Vor dem Ausspruch der zweiten Kündigung hatte der Arbeitgeber der Agentur für Arbeit keine Anzeige mehr erstattet.
Das ArbG hat die vom Arbeitnehmer erhobene Kündigungsschutzklage abgewiesen. Das LAG hat ihr stattgegeben. Der Arbeitnehmer hatte in beiden Instanzen gerügt, dass das Anzeigeverfahren nicht bzw.
nur mangelhaft durchgeführt worden ist, weil es sich lediglich auf die erste Kündigung bezogen hat. Erstmalig in der Berufungsinstanz trug der Arbeitnehmer vor, die Kündigung sei auch deshalb
rechtsunwirksam, weil der Arbeitgeber entgegen § 17 Abs. 2 KSchG die Personalvertretung nicht konsultiert habe.
Das BAG entschied, dass die Revision des Arbeitgebers unbegründet ist. Dies allerdings nicht, weil die nach § 17 Abs. 2 KSchG vorgeschriebene Konsultation des Betriebsrats (oder hier eben der
Personalvertretung) unterblieben ist. Das BAG weist – angesichts des Wortlauts der Norm vollkommen nachvollziehbar – auf § 6 Satz 1 KSchG und damit darauf hin, dass Mängel des
Konsultationsverfahrens nicht erstmals in der Berufungsinstanz gerügt werden können, sondern vom Arbeitnehmer spätestens bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz vorgebracht
werden müssen. Wegen der gebotenen Unterscheidung zwischen Anzeige – und Konsultationspflicht gibt es über den in § 6 Satz 1 KSchG hinausgehenden Zeitpunkt keine Möglichkeit, Mängel bei dem einen
Verfahren denen des anderen Verfahrens „hinterherzuschieben“. Wenn § 17 Abs. 3 KSchG dem Arbeitgeber aufgibt, der Agentur für Arbeit eine Abschrift seiner Mitteilung an den Betriebsrat
beizufügen, so ist dies Teil des Anzeigeverfahrens, nicht des Unterrichtungsverfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG. Diese Pflicht des Arbeitgebers ist Teil der nationalen Ausgestaltung des
Anzeigeverfahrens.
Der Arbeitgeber konnte sich demgegenüber deshalb nicht durchsetzen, weil auch seine zweite Kündigung anzeigepflichtig war. Nach dem klaren Wortlaut des § 17 Abs. 1 KSchG sind alle maßgeblichen
Entlassungstatbestände, die innerhalb von 30 Kalendertagen auftreten, zu addieren. Die erste Anzeige des Arbeitgebers war – nach Ansicht des BAG – mit der ersten Kündigung verbraucht. Es reiche
nicht aus, dass die spätere Kündigung in demselben „Massenentlassungskontext“ erklärt wurde. Es muss vor jeder Kündigungserklärung, die Teil einer Massenentlassung ist, eine Anzeige bei der
zuständigen Agentur für Arbeit erstattet werden.
Wir beraten Sie gerne bei allen Fragen, die rund um das Thema einer Massenentlassung auftreten (z. B. Wie ist im Rahmen des § 17 KSchG – gerade nach der neueren europäischen Rechtsprechung – der
Geschäftsführer zu behandeln? Genügt es, wenn der Arbeitnehmer in der ersten Instanz einen seiner Meinung nach vorliegenden Unwirksamkeitsgrund pauschal anspricht?).