Rechtswahrnehmung ohne Rechtsanwalt

Nach § 83 Abs. 1 Satz 1 Betriebsverfassungsgesetz (im Folgenden: BetrVG) hat ein Arbeitnehmer das Recht, in die über ihn geführten Personalakten Einsicht zu nehmen. Er kann hierzu ein Mitglied des Betriebsrats hinzuziehen, § 83 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Ob ein Mitarbeiter auch weitere Personen zur Einsichtnahme „mitbringen“ darf, regelt der Wortlaut der Vorschrift weder positiv noch negativ.
Das BAG hatte ganz aktuell darüber zu entscheiden (Urteil vom 12.07.2016 – 9 AZR 791/14 – Pressemitteilung Nr. 36/16), ob ein Mitarbeiter aus § 83 BetrVG oder anderen Rechtsnormen beanspruchen kann, bei der Einsichtnahme in die Personalakte einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen und hat dies abgelehnt. Die beiden Vorinstanzen (zuletzt LAG Nürnberg, Urteil vom 10.10.2014 – 8 Sa 138/14) hatten das Anliegen des klagenden Arbeitnehmers ebenfalls abgewiesen (bzw. die Berufung zurückgewiesen).


Im Einzelnen:
Der Kläger ist bei der Beklagten – nach einem Betriebsübergang – als Lagerist beschäftigt. Die bisherige Arbeitgeberin hatte dem Kläger eine Ermahnung erteilt und seinen Antrag, bei der Einsicht in seine Personalakten einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen, abgelehnt, indem sie ihr Hausrecht anführte. Dem Mitarbeiter wurde jedoch gestattet, die Schriftstücke in seinen Personalakten zu kopieren.


Das LAG Nürnberg hat die Auffassung vertreten, dass das Recht zur Einsicht in die Personalakte ein höchstpersönliches Recht darstellt, das in § 83 Abs. 1 BetrVG abschließend geregelt ist. Dadurch, dass nur die Begleitung von Arbeitnehmern durch Betriebsratsmitglieder erwähnt ist, bestehe kein Anspruch darauf, einen Rechtsanwalt am Einsichtstermin unmittelbar zu beteiligen. Der Neunte Senat des BAG prüfte noch weitere Anspruchsgrundlagen – und zwar § 241 Abs. 2 BGB (also Rücksichtspflicht des Arbeitgebers auf die Interessen des Arbeitnehmers) und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG). Indem die Erfurter Richter die beiden zuletzt genannten Anspruchsgrundlagen geprüft haben, weichen sie offensichtlich von der Ansicht des LAG ab, dass § 83 BetrVG eine abschließende Regelung zur aufgeworfenen Rechtsfrage darstellt.


Wie ist diese höchstrichterliche Entscheidung für die Praxis zu bewerten? Ein Mitarbeiter wird in der Regel seine rechtlichen Interessen ausreichend dadurch verfolgen können, dass er den kopierten Inhalt der Personalakte vollumfänglich seinem Rechtsanwalt zur Verfügung stellen kann. Wesentlich für die rechtliche Einschätzung ist, dass der Rechtsanwalt den zu beurteilenden Sachverhalt vollständig kennt. Ob sich aus der Vorschrift des § 83 BetrVG rechtlich wirklich herleiten lässt, dass es einen Anspruch auf das unmittelbare Hinzuziehen eines Rechtsanwalts bei der Einsichtnahme in die Personalakte nicht gibt, ist rechtsdogmatisch womöglich noch nicht hinreichend geprüft. Durch die kontinuierliche Weiterentwicklung des Datenschutzrechtes könnte die aufgeworfene Frage zu verschiedenen Zeiten auch unterschiedlich zu beantworten sein.


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