Hat ein Arbeitgeber ein Kündigungsrecht, wenn sich eine Mitarbeiterin weigert, bei Kundenterminen ihr islamisches Kopftuch abzunehmen?
Nein, sagt die britische EuGH-Generalanwältin Eleanor Sharpston in ihren Schlussanträgen vom 13.07.2016.
Zunächst zum in Frankreich spielenden Sachverhalt: Asma Bougnaoui, eine Muslimin, war seit 2008 bei einem IT-Beratungsunternehmen als Projektingenieurin/Softwareexpertin beschäftigt. Sie trug
während der Arbeitszeit ein Kopftuch, das ihr Haar, aber nicht ihr Gesicht bedeckte. Die Mitarbeiterin war verpflichtet, Kunden vor Ort zu besuchen. Einer dieser Kunden beschwerte sich über das
„Schleiertragen“. Daraufhin forderte der Arbeitgeber – die Micropole SA – die Arbeitnehmerin auf, fortan beim Kundenkontakt davon abzusehen, ihr Kopftuch zu tragen. Nachdem sie sich weigerte,
dies zu tun, kündigte der Arbeitgeber. Micropole begründete die Kündigung damit, dass Bougnaoui nicht mehr in der Lage sei, ihre arbeitsvertraglichen Aufgaben wahrzunehmen.
Die Arbeitnehmerin verteidigte sich vor den französischen Gerichten gegen die Kündigung. Die französische Cour de cassation (auf Deutsch: Kassationshof – das für die Angelegenheit höchste
französische Gericht) rief den EuGH an und möchte wissen, ob die Kündigung nach europäischem Recht unwirksam ist bzw. sein kann. Der (europa)rechtliche Hintergrund ist, dass die Richtlinie
2000/78/EG vom Verbot der Diskriminierung wegen der Religion oder Weltanschauung (welches das Tragen eines islamischen Kopftuchs rechtsfertigte) Ausnahmen i. S. v. Ungleichbehandlungen von
Arbeitnehmern (nur) zulässt, wenn „aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung wesentliche und entscheidende berufliche Anforderungen“ bestehen. Zu
klären ist nunmehr also, ob eine berufliche Anforderung gegeben ist, – auf die Kundenkritik hin – kein Kopftuch zu tragen.
Generalanwältin Eleanor Sharpston vertrat nun ihren Schlussanträgen die Ansicht, ein Kopftuchverbot während des Kundenkontakts stelle eine ungerechtfertigte Diskriminierung dar. (Die
Generalanwältin lies anklingen, dass es einen Unterschied machen könnte, ob ein Mitarbeiter im öffentlichen Dienst oder in der Privatwirtschaft tätig ist. Da die Mitgliedsstaaten hinsichtlich
religiöser Symbole im Arbeitsleben ganz unterschiedliche Auffassungen einnähmen, wolle sie sich an dieser Stelle auf Ausführungen für Privatunternehmen beschränken). Die Kündigung der
Arbeitnehmerin sei deshalb rechtsunwirksam. Diese sei wegen ihrer Religion benachteiligt worden. Eine Software-Designerin/ein Projektingenieur, der seine Religion oder Weltanschauung nicht
bekannt gemacht hätte, wäre nicht entlassen worden. Die – oben erwähnte – „berufliche Anforderung“ sei restriktiv auszulegen. Eine solche Ausnahme – so die Generalanwältin Sharpston weiter – sei
nicht gegeben; insbesondere sei nicht zu erkennen, dass die Arbeitnehmerin ihre beruflichen Aufgaben nicht habe wahrnehmen können, weil sie ein islamisches Kopftuch getragen hat.
Der Sachverhalt mag schon brisant genug sein. „Besondere Würze“ erlangt die Themenstellung allerdings dadurch, dass die deutsche Generalanwältin Juliane Kokott sich bezogen auf einen in Belgien
spielenden Sachverhalt mit derselben Frage beschäftigt hat und zu einem anderen Ergebnis gelangt: In der Rechtssache C – 157/15 stellte Juliane Kokott am 31.05.2016 ihre Schlussanträge (zitiert
nach der Pressemitteilung Nr. 54/16). Auch hier ging es um einen Fall, der sich in der Privatwirtschaft ereignet hat. Generalanwältin Kokott führte aus: Wenn sich ein (Kopftuch)verbot auf eine
allgemeine Betriebsregelung stütze, nach der sichtbare politische , philosophische und religiöse Zeichen am Arbeitsplatz untersagt sind, könne es gerechtfertigt sein, um die vom Arbeitgeber
verfolgte legitime Politik der religiösen und weltanschaulichen Neutralität durchzusetzen, dass ein Kopftuch am Arbeitsplatz nicht getragen werden darf.
Die Mitarbeiterin muslimischen Glaubens, Samira Achbita, war als Rezeptionistin bei einem belgischen Unternehmen beschäftigt. Nach dreijähriger Betriebszugehörigkeit forderte sie, künftig mit
einem islamischen Kopftuch zur Arbeit kommen zu dürfen. Auch dieser Mitarbeiterin wurde gekündigt; der Arbeitgeber berief sich darauf, dass in seinem Betrieb das Tragen sichtbarer religiöser,
politischer und philosophischer Zeichen verboten ist. Generalanwältin Kokott beschäftigt sich in ihren Schlussanträgen mit einer unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung wegen der Religion.
Im zu entscheidenden Fall gelangt sie jedenfalls zu dem Ergebnis, dass das vom Arbeitgeber ausgesprochene Kopftuchverbot nicht angreifbar ist.
Die Entscheidungen des EuGH werden im Herbst erwartet. Der Gerichtshof folgt überwiegend den in den Schlussanträgen der Generalanwälte ausgesprochenen Voten. Insofern könnten zum aufgeworfenen
Thema zwei unterschiedliche Sprüche fallen.
Auch in Deutschland haben sich die Gerichte schon mit dem Kopftuchverbot beschäftigt. Wir klammern hier aber die öffentliche Stellen betreffenden Fälle aus und erwarten mit Spannung, wie der EuGH
auf die Schlussanträge der deutschen und britischen Generalanwältinnen reagiert. Eines ist allerdings jetzt schon klar: Ein Kopftuch ist juristisch mehr als ein Stück Stoff.
Falls Sie Fragen zu dieser – in diesem Fall nicht ganz leicht zugänglichen – Materie haben, antworten wir Ihnen gerne.